Kinder mit schlechten Sprachkenntnissen, Schüler mit Förderbedarf, eine Häufung psychischer und sozialer Probleme – die Aufgaben, die Schulen bewältigen müssen, werden immer größer und vielfältiger. Weil die staatlichen Strukturen des Bildungswesen dem kaum noch gewachsen scheinen, schufen Schulleiter in Hameln-Pyrmont den Verein „SAM“. Die Wirksamkeit des Konzepts wurde nun für eine Doktorarbeit untersucht. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist SAM?
Hameln. „S.A.M Sozial-Aktiv-Menschlich e.V.“ versetzt Schulen im Landkreis Hameln-Pyrmont in die Lage, zusätzliche pädagogischen Aufgaben wahrnehmen zu können. In dem Netzwerk haben sich 50 Schulen zusammengeschlossen. Die über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind vor allem als pädagogische Kräfte im Einsatz, die an den Schulen auf unterschiedliche Weise zum Gelingen des Schulalltags beitragen und die Lehrkräfte entlasten. Aufgaben sind beispielsweise Sprachförderung, Hilfestellung im Unterricht, Hausaufgabenbetreuung und Durchführung von Nachmittagsangeboten. Darüber hinaus gibt es Projekte in der Sozialarbeit. Für die Kinder und Jugendlichen sind die pädagogischen Mitarbeiter wichtige Bezugspersonen.
Warum ist SAM wichtig?
„Wir hatten noch nie so viele Jugendliche, die keinen Schulabschluss haben und keinen Ausbildungsplatz“, sagt Dr. Theresa Brust, die ihre Promotionsarbeit über das SAM-Konzept verfasst hat. „Wir dürfen diese jungen Menschen nicht verlieren, weil das eine Frage von Bildungsgerechtigkeit ist.“ Was im staatlichen Schulsystem bisher geleistet wurde, reiche dafür offenbar nicht mehr aus, so Brust. Leider gebe es noch viel zu tun im Bildungswesen – SAM sei hier Vorreiter. Ein weiterer Aspekt: Eine regionale Vernetzung von Schulleitungen für Austausch und gegenseitige Unterstützung – auch mit Personal – ist im Schulsystem des Landes eigentlich nicht vorgesehen. Durch den Verein SAM haben sich die Schulleiter ein Netzwerk geschaffen.
Wie sind die SAM-Mitarbeiter qualifiziert?
Die pädagogischen Mitarbeiter verfügen über einen Berufsabschluss und haben bei der AmPULS gGmbH eine pädagogische Grundausbildung erhalten. Die Qualifikation umfasst 160 Stunden sowie Praktika, eine Prüfung und eine pädagogische Hausarbeit. Zudem absolvieren sie berufsbegleitende Weiterbildungen. Manche Mitarbeiter sind Quereinsteiger im pädagogischen Bereich – mit dabei sind aber auch beispielsweise geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer aus der Ukraine, die besonders für die Förderung ukrainisch-stämmiger Kinder als großer Gewinn angesehen werden.
Welche Rolle spielt SAM beim Ausbau des Ganztags an Schulen?
Der Ausbau des Ganztags sei „das Megathema für 2024 und 2025″ bei SAM, sagt Andreas Jungnitz, SAM-Vorsitzender und ehemaliger Leiter des Schiller-Gymnasiums. Ab 2026 sind Schulen gesetzlich dazu verpflichtet, schrittweise einen verlässlichen Ganztag anzubieten. Zur Frage, wie das personell und finanziell gestemmt werden kann, gibt es vom niedersächsischen Kultusministerium bislang nur recht allgemein gehaltene Antworten. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Ganztag allein durch Lehrkräfte gewährleistet werden kann, sagt Jungnitz. Schon jetzt spielen die pädagogischen Mitarbeiter von SAM eine maßgebliche Rolle bei der Durchführung von Nachmittagsangeboten. „Guter Ganztag geht nur mit multiprofessionellen Teams“, betont auch Brust. Bedeutet: Die Lehrerkollegien sind auf die Unterstützung angewiesen.
Wie klappt die Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern?
Die traditionell eher als Einzelkämpfer wirkenden Lehrkräfte würden die Entlastung durch die pädagogischen Mitarbeiter wertschätzen, sagt Brust. Das habe sie bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit so festgestellt. Andererseits gebe es gelegentlich Irritationen, wenn Unklarheit herrscht, wer an der Schule welche Aufgabe erfüllen soll. Daher sei es wichtig, dass die Schulleiter koordinierend wirken.
Wie läuft die Finanzierung der Arbeit von SAM?
Während Lehrerinnen und Lehrer vom Land bezahlt werden, muss SAM für die Bezahlung der pädagogischen Mitarbeiter Gelder aus verschiedenen Quellen akquirieren. Ein Teil kommt vom Bund via Landkreis über das Bildungs- und Teilhabepaket. Darüber hinaus gibt es Mittel aus Inklusionsprojekten von Land und Landkreis, Gelder aus der Ukrainehilfe sowie Spenden. Zusätzlich können Schulleitungen Unterrichtsstunden „kapitalisieren“ – sich vom Land quasi auszahlen lassen. Es ist also kompliziert. Dennoch gelinge es inzwischen, die pädagogischen Mitarbeiter ihrer Qualifikation entsprechend angemessen zu bezahlen, heißt es von SAM.
Wie bewertet die Wissenschaft das SAM-Konzept?
Inklusion, Ganztag und soziale Probleme seien große Herausforderungen für die Schulen, sagt Dr. Theresa Brust. Manche Situationen könnten Schulleitungen allein kaum bewältigen. Die Strukturen – die multiprofessionellen Teams -, die durch SAM aufgebaut wurden, seien „einzigartig“. Sie frage sich, warum das Konzept nicht in anderen Landkreisen nicht übernommen wird und appelliere dringend, dies zu tun, sagt Brust. „Das ist ein transferfähiges Projekt. Andere können davon lernen.“
Die Promotionsarbeit von Dr. Theresa Brust, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Hildesheim am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik, trägt den Titel „Schulleitung und Verantwortung. Eine empirische Analyse des Schulleitungsnetzwerks Hameln-Pyrmont“ und ist online frei zugänglich.